Von Yvonne Aburrow
Meiner Ansicht nach gibt es sechs separate Aspekte der Initiation. Da wäre der innere Prozess der Transformation; die Initiation durch die Götter und Göttinnen (Kontaktaufname mit dem Numinosen); die Erfahrung der Mysterien (das, was nicht ausgesprochen werden kann oder Arrheton); das Empfangen der Geheimnisse des Covens (das, was nicht ausgesprochen werden darf oder Aporrheton); das Eintreten in den Gruppengeist des Covens; und die Aufnahme in die Linie oder Tradition, von der der Coven ein Teil ist.
Einige dieser Aspekte können in einer Selbstinitiation vermittelt werden, aber die Coven- und liniengebundenen Aspekte können das nicht, und das ist der Hauptunterschied zwischen Selbstinitiation und Initiation in einen Coven.
Es ist nicht so, dass eine Selbstinitiation keinen echten Kontakt mit den Göttern oder eine wahrhaftige innere Transformation vermitteln kann, sondern nur, dass die coven- und liniengebundenen Aspekte per Definition nicht Teil einer Selbstinitiation sein können. Ganz ähnlich bedeutet es auch, dass, wenn eine Gruppe, in die jemand initiiert ist, nicht Teil einer Linie oder Tradition ist, diese Initiation auch nicht die Mitgliedschaft einer Linie übertragen kann. (Ich möchte James Butler für die Unterscheidung von Arrheton und Aporrheton danken.) An diesem Punkt ist es vielleicht hilfreich, die Aspekte der Initiation in einer Tabelle darzustellen:

In den Eleusinischen Mysterien war Arrheton das, von dem nicht gesprochen werden konnte, und Aporrheton das, was nicht von den Initianten ausgesprochen werden durfte.
Alle sechs Aspekte der Initiation mussten nicht zur selben Zeit geschehen; der Zeitpunkt der Initiation durch Götter und Göttinnen ist deren Angelegenheit, und der innere Prozess der Transformation ist ein anhaltender Prozess – beide führen zum Initiationsritual hin und halten darüber hinaus an. Immerhin bedeutet Initiation etwas zu beginnen.
Lasst uns uns nun jeden der sechs Aspekte detaillierter betrachten.
Innerer Prozess der Transformation
„Erkenne dich selbst“ besagt die Inschrift in Delphi, und Initiation ist ein wichtiger Schritt – manchmal der erste Schritt – auf einer Reise der Selbsterkenntnis: seine inneren Prozesse zu verstehen; herausfinden, mit welchen Archetypen man sich identifiziert, aber sie dann zu echten Charaktereigenschaften abzurunden, indem man sie in Konflikt mit anderen Archetypen bringt. Diese letzte Idee stammt aus einem exzellenten Buch namens 45 Master Characters von Victoria Lynn Schmidt. Dieses ist eigentlich ein Buch darüber, wie man Archetypen nutzen kann, um bessere Romanfiguren zu schreiben, aber es ist ebenfalls nützlich, wenn man sich mit Selbstentwicklung beschäftigt.
Wir müssen außerdem den Inhalten unseres Schatten und goldenen Schattens gegenüber aufmerksam sein, sie in die bewusste Aufmerksamkeit bringen.
Der goldene Schatten besteht aus den Eigenschaften von Personen, die du bewunderst, aber die du nicht in dir selbst erkennst. Zum Beispiel bist du, wenn du jemanden bewunderst der mutig ist, vermutlich selbst mutig, auch wenn du es vielleicht nicht realisierst.
Der Schatten besteht aus all den Aspekten von Leuten, die du nicht magst, aber die du nicht in dir selbst erkennst. Zum Beispiel magst du vielleicht jemanden nicht leiden, weil er faul ist, aber das ist eventuell so, weil du deine eigene Faulheit auf ihn projizierst.
Initiation durch die Götter und Göttinnen
Die Gottheiten sind sowohl real als auch Metapher – ein Ausdruck unserer Beziehung zur Welt der Archetypen, dem Land und dem kollektiven Unbewussten. Vielen hinduistischen Denkschulen nach sind die Gottheiten nur Formen und Gesichter des Unendlichen – Brahman, der im Universum spielt.
Wenn wir dem Göttlichen in einem initiatorischen Erlebnis begegnen, kann das das Resultat eines Initiationsrituals sein oder aber es kann geschehen wenn die Gottheiten es so entscheiden; es obliegt nicht wirklich unserer bewussten Kontrolle. Aber die Erfahrung ist eine von großer Kraft und Energie, von Verbundenheit zu Allem was ist – vielleicht eine Vision in der plötzlich klar wird, wie Alles zusammenpasst, oder vielleicht eine Ahnung, dass Alles voller Götter ist und von innen leuchtet.
Erleben der Mysterien (Arrheton)
Die Erkenntnis der unaussprechlichen Natur des Göttlichen – dessen, das dem Manifesten zugrunde liegt – kann nicht in Worten ausgedrückt werden. Es mag erfahren werden als Resultat eines Initiationsrituals, einer anderen Erfahrung oder eines inneren Prozesses.
Empfangen von Geheimnissen (Aporrheton)
Die Geheimnisse einer Gruppe oder Linie sind per Definition nur zugänglich für die Menschen, die sie bereits kennen. Die Gründe, warum sie nicht ausgesprochen werden sollten, sind unterschiedlich. Carl Gustav Jung sagte, dass Menschen Geheimnisse brauchen um einen Sinn für Gruppenidentität zu entwickeln. Meine eigene Sicht ist die, dass die Geheimnisse privater Natur sind und nur im Zusammenhang der Wicca-Kultur und des Wicca-Symbolismus verstanden werden können. Der Symbolismus der Wicca ist höchst erotisch und das entspricht nicht dem, was der Mainstream unter Spiritualität versteht. Weil wir so durchdrungen sind von der Idee, dass Eros und Spiritualität miteinander verwoben sind, ist es einfach zu vergessen, dass andere Menschen das einfach nicht verstehen, also benötigen wir vielleicht die Einrichtung von Geheimnissen um uns daran zu erinnern. Es wird außerdem oft argumentiert, dass die Mysterien in einer bestimmten Reihenfolge enthüllt werden, weil sie so mehr Sinn ergeben. Und Menschen könnten die Geheimnisse nicht erfahren, bis sie die richtige Ebene der Initiation erreicht haben. Wir müssen jedoch vorsichtig sein, nicht so zu handeln, als sei das Zugang zu den Geheimnissen der einzige Zweck der Initiation – er ist es nicht.
Eintritt in den Gruppengeist des Covens
Selbst ein kleiner Coven kann einen starken Gruppengeist erschaffen
Die meisten Coven scheinen die Erfahrung des Gruppengeistes gemacht zu haben; zu wissen, was in einer Visualisierung kommt, noch bevor die Person, die sie leitet, es ausspricht; in der Lage zu sein wahrzunehmen wo die Coven-Mitglieder sich in einer Visualisierung gerade befinden; mit dem richtigen Essen zum Treffen aufzutauchen; usw.
Eintritt in einen Gruppengeist ist aus offensichtlichen Gründen nicht durch Selbstinitiation zu bewirken, denn diese ist eine solitäre Erfahrung. Der Sinn für den Gruppengeist entwickelt sich allmählich durch die Arbeit miteinander, aber wenn eine neue Person beitritt, ist es vielleicht der Ruck, den das Initiationsritual auslöst oder die geteilte Erfahrung des Ganzen, die sie in den Gruppengeist einführt.
Beitritt einer Linie oder Tradition
Die Idee einer Linie ist es, dass dir ein bestimmter Strom der Energie übermittelt wird, der spezifisch für deine bestimmte Linie ist, vermutlich da er all den Menschen, durch die sie weitergegeben worden ist, geprägt worden ist, was ihr letztendlich einen bestimmten Charakter verleiht.
Ebenso gibt es die Möglichkeit, dass du ein Teil des Wicca Egregors oder Gruppengeistes wirst, wenn du initiiert wirst. Dieser ist viel diffuser als der Gruppengeist des Covens.
Die Idee der Linien-Abstammung mag verwandt sein mit der christlichen Idee der apostolischen Abfolge, aber vielleicht ist sie auch älter als diese. Der Titel des Pontifex Maximus, den der Papst ursprünglich benutzte, gehörte ursprünglich den römischen Imperatoren als Oberpriester des Kultes der römischen Gottheiten. Zudem wurden viele uralte heidnische Priester zu christlichen Priestern, und so beinhaltet die apostolische Abfolge der christlichen Kirche auch Linien aus vorchristlichen Traditionen (sowohl jüdischer als auch heidnischer). Mehr zu diesem Thema du online in dem hervorragenden Artikel The role and function of Thelemic Clergy in the Ecclesia Gnostica Catholica (1997) von Tau Apiryon finden.
Nochmal: der Linie, der Tradition oder dem Egregor beizutreten ist aus offensichtlichen Gründen nicht möglich durch Selbstinitiation, denn diese ist ein solitärer Akt.
Schlußwort
Initiation ist eine vielschichtige Erfahrung und Teil eines Prozesses der Transformation. Es geht nicht nur um das Ritual selbst, sondern die Erfahrungen, die auf das Ritual hin führen, und die weiterführenden Prozesse, die dem Ritual folgen. Einige Aspekte dieser Transformation finden im Inneren statt und sind sehr persönlich, andere werden uns durch die Gottheiten zuteil.