Von Chris Frey
Was ist es, das mich auch nach vielen Jahren immer noch an Wicca fasziniert?
Es ist weder das Image der Hexe noch die Werkzeuge und Kostüme, ganz sicher nicht die überlieferten Rituale aus dem Buch der Schatten und noch nicht einmal der Glaube an Gott und Göttin. (Denn wie kann es in einer undogmatischen Religion überhaupt einen festgelegten Glauben geben?)
Als Kind hatte ich oft das Gefühl mit einem großen Göttlichen verbunden zu sein, aber an Religion im herkömmlichen Sinne konnte ich nicht weniger interessiert sein. Warum eine unsichtbare Gestalt irgendwo da draußen anbeten, warum auf Glauben zurückgreifen, wenn das Göttliche doch so greifbar überall um mich herum und auch in mir selbst war? In der Natur war diese Kraft für mich am deutlichsten spürbar und so begann ich früh kleine Rituale zu zelebrieren, um diese Verbindung zu stärken.
Ich erinnere mich, wie ich an lauen Sommerabenden durch die Felder um meinen Heimatort streifte, den Geruch der Kamille einatmend und in das lavendelfarbene weiche Licht des Mondes eintauchend. Dieses Gefühl, dieses Staunen über die Wunder dieser Welt, ist auch die Grundlage für meine heutige spirituelle Praxis. Die Rituale dienen mir, wieder in dieses Gefühl einzutauchen, mich ganz verbunden zu fühlen mit der Welt und dem Kosmos – so zu fühlen, als sei nichts unmöglich. Das zu erreichen ist eine Kunst für sich, aber Wicca liefert mir eine gute Anleitung dazu.
Was die Hexenkunst also für mich so wertvoll macht, sind nicht die Götter oder festgelegten Rituale, sondern die kreativen Praktiken und Symbole, die die es mir erlauben, ein heiliges Verhältnis zur Welt, den Menschen und allen Dingen einzugehen. Die Namen von Windgöttern, das Räucherwerk, die Handlungen und der pure Akt der Magie öffnen mich für diese heilige, wunderbare Dimension der Welt, und das auf eine Weise, die sehr konkret ist. Wicca ist ein Mysterienweg und Magie ist sein Handwerkszeug; eine Art und Weise, mit dieser mystischen Dimension innerhalb der greifbaren Welt zu arbeiten. Magie ermöglicht es uns, uns im Netz des Wyrd zu bewegen, Erkenntnisse und Weisheit zu gewinnen und zu wachsen – als Priester, als Hexen, aber vor Allem als Menschen. Das macht Wicca für mich eher zu einer spirituellen Wissenschaft als zu einer Religion.
Aber wie steht es mit den Göttern? Gibt es kein festes theologisches Weltbild, das wir zu glauben haben? Gott, Göttin, Götter sind nach meinem Verständnis Teil der Sprache der Hexenkunst, aber nicht die Wirklichkeit selbst. Sie vermögen uns mit unserer eigenen innewohnenden Göttlichkeit wie auch mit dem Göttlichen im Außen zu verbinden. Manche sehen in ihnen auch reale individuelle Wesenheiten oder kosmische Energiemuster. Das wird dem Individuum überlassen. Die Betonung in den Ritualen liegt auf Gott und Göttin, aber das liegt wohl eher daran, dass das Konzept der dynamischen Polarität so wesentlich ist im Wicca.
Heutige Hexen sind also in ihren Ansichten über die Götter so unterschiedlich, wie es nur sein kann. Auch das ist für mich ein wesentliches Charakteristikum der Hexenkunst: Eine Weltsicht, die keine Dogmen propagiert, die ständig dazu lernt und weise genug ist, das Paradoxon in allem zu sehen und darüber zu schmunzeln.
Im Gegensatz zu einer Offenbarungsreligion, in der der Anhänger etwas glauben muss, ist Wicca also ein Weg der Praxis und bedient sich eines großen Erfahrungsschatzes über Körper, Geist, Seele und das Universum, verschlüsselt in Metaphern und Allegorien – in Kunst. Der Kunst der Hexen.
Möge euch das Staunen nie verlassen
Blessed Be
Chris
Diesen kurzen Artikel schrieb ich vor einigen Jahren, aber sein Inhalt ist für mich heute so wahr wie damals.